Meiner Erfahrung nach ist es nicht selbstverständlich für Menschen der Unter- und Mittelschicht, mit Superreichen zu tun zu haben. Ich freue mich deshalb, dass ich bereits einmal das „Glück“ hatte, mit einem sehr reichen Christen für ein paar Tage abhängen zu dürfen. Einmal fragte ich ihn dabei, was seine Lieblingsbibelstelle sei. Er antwortete: „Es ist leichter, dass ein Kamel durch ein Nadelöhr gehe, als dass ein Reicher ins Reich Gottes komme“ (Mk. 10, 25). Das fand ich beeindruckend.
Als ich vor einiger Zeit an dieses Erlebnis denken musste tauchte plötzlich in meinem Kopf dieser Satz auf: Geld ist die Wurzel alles Übels. Unfassbar oft gehört; Ein weit verbreitetes Sprichwort biblischen Ursprungs. Ich schlug meine digitale Bibel auf und suchte mir den Vers heraus, denn gerne lese ich auch den Kontext von Versen, die mir in den Sinn kommen (was meine falsche Verwendung von Versen leider nicht ganz ausradiert, aber zumindest wenigstens etwas minimiert). Zu meinem Erstaunen stand dort nicht, was ich erwartet hatte – in 1. Tim. 6,10 steht der Satz: „Geldgier ist eine Wurzel alles Übels“. Es geht mir jetzt nicht um die Frage, ob es noch andere Wurzeln gibt und welche das wohl sein könnten, sondern um das Wort Geldgier.
Gier, das Streben nach Reichtum, die Annahme, nie genug zu haben – das ist ein Problem, aus dem alles Übel hervorgeht. Im Gegensatz zu Geldgier steht im Kontext dieser Stelle „Genügsamkeit“ – und für wie wichtig ich Dankbarkeit halte, habe ich im Segenskreislauf ja bereits angerissen. Wenn ich in diesem Sinne nochmal auf Mk. 10 (lesen lohnt) schaue, dann meine ich Jesu Anliegen zu entdecken, was rein zufällig das Evangelium ist: Es geht nicht zuerst ums Tun, sondern zuerst ums Glauben.
Der Reiche muss nicht alles verkaufen, um gerettet zu werden; er muss an Gott glauben. Er ist aber so sehr in seiner Selbstbehauptung gefangen, dass er meint, keinen Glauben zu brauchen, sondern sich seine Rettung erkaufen zu können. Zuerst kommt er mit seinen Ritualen und der Moral: Ich bin ein toller Mensch, also habe ich verdient, von Gott angenommen zu werden. Das konfrontiert Jesus entschieden und spricht ihn auf genau dieses an: Du glaubst, dass du mit Gott bist, weil du etwas erarbeitet hast; aber du bist mit Gott, wenn du ihm vertraust – und jetzt lade ich dich ein, dein Vertrauen nicht nur als Vorwand, sondern von Herzen auf Gott zu legen; verkaufe um deinetwillen alles, was du hast, und erlebe, dass er treu ist (Heb. 10,23), dass er versorgt (Mt. 6,24-34) und dass du seine Freundlichkeit tatsächlich erleben darfst (Ps. 34,8; Titus 3,4-7). Dieses Anliegen unterstreicht Jesus nach dem Abzug des Reichen, auch wenn wir gerne mit dem Nadelör-Vers die Sache beenden würden: „Wer kann denn selig werden, ohne zu leisten?“, fragen die Menschen. Und Jesus antwortet: „Was bei den Menschen unmöglich ist, ist bei Gott möglich“.
Das Evangelium ist nicht: Verkaufe alles und lebe ohne Tadel, dann hast du Ansehen bei Gott. Das Evangelium lautet: Hör auf, dich selbst in dieser Welt behaupten zu müssen, vertraue Gott, dass er dich versorgt, dass er weiß, was dir guttut – und freue dich an dem, woran er sich freut und du wirst sehen, dass der Himmel auf die Erde kommt.
Und noch einmal, jetzt im Kontext des Reichtums und mit den Worten aus 1.Tim. 6,17-19: „Den Reichen in dieser Welt gebiete, dass sie nicht stolz seien, auch nicht hoffen auf den unsicheren Reichtum, sondern auf Gott, der uns alles reichlich darbietet, es zu genießen; dass sie Gutes tun, reich werden an guten Werken, gerne geben, zum Teilen bereit sind und sich selbst einen Schatz sammeln als guten Grund für die Zukunft, damit sie das wahre Leben ergreifen.“
Wo das Vertrauen auf Gott steht, ist Reichtum kein Problem. Weder hatte Gott etwas gegen den Reichtum von Hiob, noch hat er sich geweigert, den Reichtum von Abram zu benutzen und – in beiden Fällen – den Reichtum sogar zu vermehren. Reichtum ist nicht das Problem, denn Gott selbst ist reich. Wie oft wird er von Jesus als Gutsherr oder König dargestellt? Faszinierend an den Geschichten ist aber auch, dass er mit seinem Reichtum zum Wohle der Menschen umgeht: er gibt Arbeitern genug zum Leben, auch wenn sie nicht den ganzen Tag gearbeitet haben, weil sie keine Arbeit fanden; er lädt zu großen Feiern ein; er sagt seinen Kindern, dass sie doch automatisch als Kinder und Erben über seinen Reichtum verfügen.
Sobald Reichtum als Problem dargestellt wird, geht es Jesus nicht um das Geld, sondern um den selbstbehauptenden Umgang damit; es geht ihm um diejenigen, die nicht Gott vertrauen, sich selbst für besser halten, und/oder andere Menschen eben nicht in seinem Sinne behandelt haben, wie bspw. der Reiche, der den Bettler Lazarus verkümmern lässt und selbst im Jenseits noch keine Einsicht hat.
Wenn ich mir die erste Gemeinde ansehe, dann meine ich auch hier diese Tendenz zu erkennen. Es wird gegeben und geteilt; von vielen heißt es, dass sie ihren Besitz verkauften und ihn den Aposteln zur Verwaltung gaben. Aber trotzdem trafen sie sich ja auch in ihren Häusern – und die musste ja auch irgendjemandem gehören. Hätten alle aus der Gemeinschaft alles gegeben, wäre das nicht sehr nachhaltig; aber mehr dazu im nächsten Abschnitt. Ich meine, das Problem mit Geld entsteht dort, wo Menschen nicht aus dem Vertrauen auf Gott in seinem Sinn leben. In der Geschichte mit Hananias und Saphira (Apg. 5,1-11) wird das gut deutlich. Die beiden verkaufen einen Acker (auch hier: nicht alles, was sie besaßen) und gaben einen Teil des Geldes den Aposteln. Petrus scheltet Hananias anschließend, weil er offensichtlich so tat, als sei es das gesamte Geld. Es war sein Recht, mit dem Geld zu tun, was er wollte. Es war sein Recht, den Acker nicht einmal zu verkaufen. Der Reichtum ist hier nicht das Problem. Das Problem ist die Selbstbehauptung; ihre Handlung schreit: „Auf Gottes Versorgung vertrauen wir nicht, auch geben wir nicht aus Nächstenliebe – lass uns ihre Anerkennung erkaufen!“ Konnten die Apostel mit den Geld Gutes tun? Ganz bestimmt. Aber ich meine, es geht beim Thema Reichtum eben nicht um Geld allein, sondern um das Herz, dass diesen verwaltet.
Mit diesem Fokus wirbt Jesus um unser Herz in Bezug auf unsere Mitmenschen. Er fordert mich heraus barmherzig zu sein, nicht zu richten oder zu verdammen, stattdessen zu vergeben und reichlich zu geben. Er sagt, dass ich ein überfließendes Maß erleben werden, wenn ich so handele (Lk. 6,38). Wenn ich zum Segen werde, werde ich auch Segen erleben.
Damit ist kein egoistischer Prosperity-Gospel-Automatismus gemeint. Das wäre wieder Selbstbehauptung! Es geht immer noch darum, dass unser Herzensanliegen das Wohlergehen von Menschen ist. Es ist die praktische Übung des Gebetes, was sich immer mal wieder so leichtfüßig dahinfaseln lässt: „Dein Reich komme, wie im Himmel so auf Erden; […]gib mir, wie auch ich […]gebe.“ Wenn ich um den eben zitierten Vers aus Lukas herumlese, dann sehe ich viel davon, dass mit meinem Segen ein Wandel eintritt. Vorher geht es um die Feindesliebe. Hinterher heißt es, dass ein Blinder, einen Blinden nicht führen kann. Es gibt keinen Unterschied, wenn ich keinen Unterschied mache. Gott selbst fängt damit an – will ich mich, seinem Wesen nach in die Segensspur hineinstellen, die er zieht? Diese Frage kann ich unabhängig meines Einkommens beantworten.
Hier möchte ich erneut einen Perspektivwechsel vorschlagen: Besonders wenn ich wenig habe, ist die Grenze des „Vertrauen-Müssen“ doch ziemlich nah. An dieser Stelle immer noch zu geben, ist ein ordentlicher Ausdruck des Vertrauens. Womöglich haben es die Reichen gerade deshalb so schwer. Als reicher Mensch, viel zu geben, ist nicht direkt Ausdruck des Vertrauens, denn es ist alles vom Überschuss gegeben (vgl. Lk. 21,1-4). Wenn ich als reicher Mensch nicht die Armutsgrenze kenne, hält mich auch ein gewisser Lebensstandard davon ab, zu vertrauen – ich könnte meinen, dass ich doch mit Summe X bereits wirklich am Minimum lebe, während ich für andere immer noch fucking reich bin. Deshalb braucht es einen ehrlichen Blick nach „oben“ und „unten“, damit mir nicht einfach nur meine Bubble die Lebenswahrheit diktiert („Also, ich würde mich zu der gehobenen Mittelschicht in Deutschland zählen.“ – Friedrich Merz). Und das ist der zweite Teil des Perspektivwechsels: Hier will ich mich auch ganz konkret als reicher Mensch sehen. Mit knapp 1100€ Monatsgehalt (Stand 01.23) gehöre ich laut Institut der deutschen Wirtschaft zur unteren unteren Mitte (IW, 2017). Gleichzeitig, wenn ich mir den Wohlstandsrechner anschaue, haben noch ganze 16% der Bevölkerung in Deutschland weniger als ich (IW Rechner). Von Vergleichen mit anderen Ländern will ich gar nicht erst anfangen. Und da stelle ich prompt fest:
Am Ende meines Spottes bin ich der Merz der Armen.
Wenn ich Veränderung sehen will, wenn ich sehen will, dass Gottes Reich hier sichtbar wird, in meinem Umfeld, dann will ich mein Gebet auch selbst ernst nehmen. Ich glaube, wie ich bereits beim Segenskreislauf sagte, alles gehört Gott, denn kein Mensch ist hier mit Besitz gelandet und kein Mensch nimmt seinen Besitz mit, sobald er stirbt. Deshalb meine ich für mich auch: der Zehnte geht immer. Gott selbst ist sogar so sehr davon überzeugt, dass sich das Vertrauen in ihn lohnt, dass er in Maleachi 3,10 explizit dazu auffordert, ihn zu prüfen, indem man den Zehnten gibt.
Etwas abzugeben, wenn ich nicht viel habe, ist nicht nur wegen der Einstellung des Vertrauens zu Gott wichtig. Mehr zu geben, wenn ich mehr habe, klingt so leicht und logisch, aber ich glaube, dass es nicht zwingend so leicht und logisch ist.
Wir Menschen sind Gewohnheitstiere und ich schätze – das sehe ich bei mir zumindest – dass zuerst mein eigener Lebensstandard steigt. Ob ich dann wirklich mehr gebe, hängt nicht nur von meiner Einstellung, sondern auch auf besondere Art von meiner Gewohnheit ab. „Wer im Geringsten treu ist, der ist auch im Großen treu; und wer im Geringsten ungerecht ist, der ist auch im Großen ungerecht.“ Heißt es in Lk. 16,10; aber das gesamte Kapitel ist bedeutungsschwer. Wenn ich darüber nachdenke, dann wird mir wichtig, Vertrauen in Gott zu haben und dieses Vertrauen in meinem Handeln zu bezeugen. Meine Herzenshaltung ist spontan schwerer änderbar, als ich gerne wollen würde. Egal, wie ich hier antworte; die Herausforderung steht.
Zusammengefasst zeigt sich mein Vertrauen auf Gott, dem Evangelium entsprechend, dass ich bereits mehrfach in diesem Text genannt habe, darin, dass ich in seinem Sinne mit allem, was ich habe und bin, menschen-liebend umgehen will, weil ich ja darauf vertraue, dass er es gut mit mir meint. Wo ich so noch nicht unterwegs bin, brauche ich die Hilfe von meinen Geschwistern und Gott selbst, um das zu erkennen. Gleichzeitig disqualifiziert mich das falsche Handeln nicht, denn es ist nicht mein Handeln, durch das ich gerecht werde, solange es meine Herzensentscheidung ist, mich immer wieder von Gottes Art berühren und verändern zu lassen. Wenn ich das wahre Leben ergreife, habe ich unendliches Wachstumspotenzial in Gottes freundlicher Herrlichkeit. Wenn das keine gute Botschaft ist, weiß ich auch nicht…
Praktische Herausforderungen:
- Wenn ich das Vater Unser bete, will ich innehalten und in meinem Herzen bestätigen, dass sich mein Handeln nicht am Handeln anderer Menschen ausrichten soll, sondern allein am Wesen Gottes, dem ich erlaube, mein Herz weich zu machen.
- Ich will mir (hier speziell beim Thema Finanzen) Gewohnheiten bauen, die Ausdruck meines Vertrauens sind.
- Ich will mich erinnern, dass es auch bei Finanzen zuerst um Menschen geht; um ein in Liebe verwurzeltes Handeln.
Mach ich es mir zu einfach oder bin ich da an etwas dran? Angenommen, ich wäre reich, was würde denn dann auf mich warten? Das will ich mir im nächsten Teil anschauen.