„Schöne Scheiße!“

Ich wurde in letzter Zeit oft als Optimist bezeichnet, einfach weil ich hoffnungsvoll in die Zukunft blicke und der Überzeugung bin, aus Allem und in Allem die Möglichkeit guter Frucht zu sehen. Für mich bedarf es da aber eines genaueren Blickes, denn ich selbst sehe mich nicht einem Optimisten à la „Alles ist gut“ – wie es mir weitergegeben wurde – entsprechen.

Beispielsweise habe ich mich oft auf die Suche nach dem Schatz in meinem Gegenüber gemacht, obgleich ich aber nicht selten kundtat, dass ich Menschen verabscheue. Mir wohnt gleichzeitig eine tiefe Abneigung und eine echte liebevolle Faszination gegenüber der Welt inne. Dies sind für mich jedoch keine Gegensätze, sondern nötige Voraussetzungen, nach Gutem zu streben und für die geringste Verbesserung mit voller Hingabe bis an die Grenzen meiner Kraft zu arbeiten.

Mit dieser paradoxen Einstellungen das Leben zu bestreiten, ohne dass sich beide Seiten zu einer gleichgültigen Kälte negieren, in der man mit dem Status Quo lebt und höchstens noch für sich und seine Familie/Freunde das Optimum rausholt, schien auf Unverständnis zu treffen oder zumindest unbekannt zu sein.  Ich wusste dies leider selbst nicht zufriedenstellend auszuführen. Glücklicherweise lese ich derzeit ein Buch von Chesterton, das mir ein wenig auf die Sprünge geholfen hat. Hier also ein Erklärungsversuch…

Das Schlechte am Pessimismus ist nicht, das Hässliche anzuprangern und das Gute am Optimismus ist nicht, das Schöne anzupreisen. Der Pessimist nervt, weil er nicht liebt was er kritisiert und der Optimist nervt, weil er selbst noch das schön redet, was nicht schön zu reden ist. Beide sind allerdings gleichermaßen im Status Quo gefangen; es ändert sich nichts. Damit Änderung geschieht braucht es etwas, das Chesterton als „irrationalen Optimismus“ bezeichnet – während die anderen Positionen keine echte Kraft haben, hat der irrationale Optimist reformatorische Kraft:

„Am meisten in der Gefahr, den Ort, den er liebt, zugrunde zu richten, ist eben derjenige, der ihn mit Grund liebt. Dem Ort, den er liebt, förderlich sein, wird am ehesten derjenige, der ihn grundlos liebt.“

Es ist eine mystische Liebe, die den Optimisten optimistisch sein lässt – es ist nicht ein rational erklärbarer Grund. Chesterton vergleicht das mit Patriotismus: Wenn ich Deutschland wegen seiner Streitmacht und seinen Werten im zweiten Weltkrieg liebe, dann stehe ich Veränderungen im Weg und rede miserable Dinge schön. Wenn ich hingegen Deutschland ohne Grund liebe, möchte ich es unbedingt verbessern.

„Je transzendenzbestimmter dein Patriotismus ist, um so praxismächtiger ist deine Politik.“

Sein Zwischenfazit, das meine Einstellung, die ich nicht auszuführen wusste, gut zusammenfasst, lautet nun:

„Für unsere titanischen Vorhaben in Sachen Glaube und Revolution brauchen wir keine kompromisslerisch kalte Hinnahme der Welt, sondern die Möglichkeit, die Welt ebenso sehr von Herzen zu lieben wie zu hassen. Wir wollen nicht, dass Freude und Zorn sich gegenseitig neutralisieren und einen Zustand mürrischer Bescheidung hervorrufen; wir streben danach, tiefere Wonne empfinden und leidenschaftlicher unzufrieden sein zu können. […] Niemand bezweifelt, dass sich ein normaler Mensch mit der Welt arrangieren kann; aber was wir fordern, ist nicht genug Kraft, um sich mit der Welt abzufinden, sondern genug Stärke um sie hervorzubringen. Kann ich die Welt genug hassen, um sie verändern zu wollen und doch auch genug lieben, um sie für wert zu halten, verändert zu werden? Kann ich auf dieses Übermaß an Gutem schauen, ohne mich je damit zufrieden zu geben? Kann ich auf dieses Übermaß an Bösem schauen, ohne im Mindesten von Verzweiflung erfasst zu werden? Kann ich, kurz, nicht nur gleichzeitig Pessimist und Optimist, sondern mehr noch fanatischer Pessimist und fanatischer Optimist sein? […] An dieser doppelten Forderung, so meine Behauptung, scheitert der rationale Optimist, während der irrationale Optimist ihr gerecht wird. Er ist bereit, um der Welt willen die Welt in Trümmer zu legen.“

Das Paradoxe

Im Gegensatz zu einem Jahr bin ich dynamisch. Das Jahr ist einfach nur. Es ist ihm egal was passiert – nichts davon wird etwas daran ändern, dass das Jahr das Jahr war und ist und bleiben wird. Ich hingegen kann verändern und verändert werden. Ich bin ein Akteur und ich bin ein irrational optimistischer, indem „ich hoffnungsvoll in die Zukunft blicke und der Überzeugung bin, aus Allem und in Allem die Möglichkeit guter Frucht zu sehen“. Diese Einstellung lässt mich auch nicht im Stich, wenn ich auf das Jahr zurückblicke und viel Gegensätzliches sehe:

  • enttäuschte Hoffnung und unerwartete Freude
  • Dinge, die in plötzlichem Zerbruch zerschellen und Dinge, die ein rundes Ende finden
  • großen Rückschritt und großen Fortschritt
  • heftiges Scheitern und achtbare Siege

Es war kein gutes oder schlechtes Jahr, weil gute oder schlechte Dinge passiert sind. Es war ein grandioses Jahr, weil mein Blick für die Zukunft irgendwann die Vergangenheit gesehen haben wird – und somit in der Vergangenheit tatsächlich überall die Möglichkeit guter Frucht zu entdecken ist. Ich muss dazu weder die Augen vor dem Schlechten verschließen, noch auf Kritik verzichten.

Ich muss mich nicht entscheiden – ich kann das Paradoxe umarmen. 

Die Schönheit im Chaos zu finden ist keine Frage des Ordnungschaffens, sondern der Perspektive.

Die Stringenz

Bei der obigen Erklärung drängt sich mir allerdings eine unausweichliche Frage auf:

Welches Maß lege ich an?

Ja, was bedeutet es eigentlich, wenn ich von „guter Frucht“ rede und wonach beurteile ich, ob eine Welt, um ihrer selbst willen in Trümmer zu legen ist? Chesterton schreibt, dass nirgendwo der Patriotismus abstrakter und mehr ins freie Ermessen gestellt ist als in Frankreich, und dass deshalb nirgendwo drastischer und durchgreifender reformiert wird als dort. Wenn ich mir Frankreich heute anschaue muss ich mich grinsend fragen, ob das wirklich gut so ist oder nicht vielleicht doch eigentlich eher ein Argument gegen die eigene Aussage…

Denn jeder kann „gute Frucht“ anders definieren und auch wenn die anarchische totale Freiheit nicht funktioniert, liegt ihr (je nachdem) doch ein ehrbares Anliegen zugrunde, dass die Aussage zulässt, die Welt um ihrer selbst willen in Trümmer legen zu wollen. Es ist mir aber ein zu großer Ausflug, generell nach Ethik zu fragen. Die kurze Antwort darauf wäre wohl, dass Gott allein der Maßstab sein muss, da die gerade dargelegte Argumentation bereits beispielhaft aufzeigt, dass wir nicht aus uns selbst heraus objektiv zu Moral kommen. Anstatt weiter darauf einzugehen, möchte ich abschließend kurz erläutern, was ich für nächstes Jahr plane und wie ich dieses „gut“ zu füllen gedenke.

Die Konsequenz

Also, der stringenten Konsequenz des Paradoxen folgend, muss ich mir selbst zu Beginn – genau wie es auch der sich als irrationalen Optimist sehende Anarchist tun muss – die Frage stellen, ob ich bereit bin, auch meine eigene Welt, um ihrer selbst Willen zu zerstören. Das Recht, andere Weltbilder zu zerstören, um sie schöner neu zu gestalten, kann ich mir sowieso nicht verdienen, aber ich hätte es auch definitiv nicht verdient, wäre ich nicht bereit, selbst vor die Möglichkeit der Trümmer meiner mentalen Existenz zu treten. Konkret gefragt:

Bin ich bereit, mein Altbewährtes hinterfragen zu lassen (oder es selbst infrage zu stellen), wenn das eventuell zufolge hat, nach möglicherweise schmerzhaftem Prozess, wahrhaftiger als zuvor zu leben?

Das gilt für mein Weltbild, meine Arbeit, meine Traditionen, meine Hobbies, …, und nicht zuletzt für mein Leben. Ich möchte meinen, dass ich mein Altbewährtes sehr gut seit einigen Jahren hinterfrage und hinterfragen lasse, obgleich ich es sicherlich noch nicht in letzter Konsequenz lebe. Ich blicke allerdings hoffnungsvoll in die Zukunft… 😉

Mein Vorsatz für 2019

Es ist sicherlich von Vorteil für die Welt, dass ich an einen großartigen, gnädigen und vollkommen liebenden Gott glaube, denn dies ist das Maß, welches ich anlege, wenn ich Pläne schmiede.

Ich gelobe, die Welt 2019 noch mehr zu hassen und sie gleichzeitig auch wesentlich besser zu lieben, als ich es bisher getan habe!

Meine Weltumgestaltungspläne machen keinen Halt vor Titel- und Würdenträgern, vor Professionen, vor Institutionen, vor Traditionen und gesellschaftlichen Konventionen. Ich werde, woimmer ich bin, Meinungen und Ansichten rütteln und schütteln, hoffentlich auch zerstören und dann beim Neubau helfen – alles mit dem Ziel,

  1. Schätze in Menschen zu entdecken und ihnen bei der Hebung zu helfen,
  2. Menschen mit anderen Menschen und Gott zusammenzubringen,
  3. und das Leben in jeder Situation mehr umarmen und feiern zu lernen und lehren.

Death Therapy

Ich lade dich von Herzen ein, mein Ziel zu dem deinen zu machen.

Ich lade dich ein, dein eigenes Leben genug zu hassen, um nicht untätig zu bleiben, und es genug zu lieben, um es zu zum Besseren zu zerstören.

Ich lade dich ein, damit auch vor meinem Leben kein Halt zu machen.

Auf die Gnade und ein großartiges, von Liebe geprägtes 2019!


GLEICHE MEINUNG? ANDERE MEINUNG? SONSTIGES? LASS ES MICH WISSEN!

Eine Meinung zu “Jahresrückblick 2018 – Paradoxe Stringenz

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