„Nichts ist so unerträglich für den Menschen, als sich in einer vollkommenen Ruhe zu befinden, ohne Leidenschaft, ohne Geschäfte, ohne Zerstreuung, ohne Beschäftigung. Er wird dann sein Nichts fühlen, seine Preisgegebenheit, seine Unzulänglichkeit, seine Abhängigkeit, seine Ohnmacht, seine Leere. Unaufhörlich wird aus dem Grund seiner Seele der Ennui (=Verdruss) aufsteigen, die Schwärze, die Traurigkeit, der Kummer, der Verzicht, die Verzweiflung.“

– Blaise Pascal

„Was tun bei Langeweile?“

War dir mal so langweilig, dass du diese Frage in die Suchmaschine deiner Wahl eingegeben hast? Mir definitiv schon. Und leider hat mir eine Suche dieser Art nie geholfen. Eher im Gegenteil. Die Suchergebnisse sind voll mit Listen und Artikeln, die dankend meinen Klick nehmen und mich unverändert zurücklassen. Nein, das stimmt nicht ganz; eher tragen sie dazu bei, dass ich mich noch deprimierter fühle als zuvor – der Zauber der unerfüllten Erwartung!

Ich könnte kotzen, wenn ich wieder und wieder lese, dass ich doch was mit meinen Freunden machen oder kreativ sein solle. „Ihr elenden Penner,“ denke ich dann, „wenn ich mich gerade mit Freunden träfe oder kreativ zu sein wüsste, hätte ich diese Frage nicht gestellt!“

Vielleicht geht es dir wie mir. Vielleicht bist du jetzt auch genau deswegen hier. Vielleicht auch nicht. Egal. Mit Langeweile will normalerweise niemand einfach so etwas zu tun haben – und ich glaube, dass uns dabei ein großartiges Tool entgeht.

Das Problem der Langeweile

Direkt zu Beginn der Langeweile steht dir eine gewaltige Frage gegenüber: Warum langweilst du dich?

Ja, ich weiß, dass du nicht weißt was du tun sollst. Ich weiß, dass vielleicht heute alles doof ist. Das alles kenne ich. Das meine ich aber nicht. Die typischen Vorschläge aus Artikeln und Listen, über die ich mich oben aufrege, versuchen normalweise, eine Beschäftigung vorzuschlagen. Aber, hilft das? „Etwas Leckeres kochen.“ UND DANN?! Stumpfe Beschäftigung ist nur kurze Ablenkung. Der Vorschlag löst selten das Problem. Meist ist es sogar noch schlimmer: er ignoriert das Problem und lenkt davon ab. „Ablenkung ist aber doch gut, weil mir dann ja nicht mehr langweilig ist?“ Fehlschluss. Ablenkung hindert Wachstum. Sie ist komplett unkonstruktiv. Sie lässt dich leer zurück. So ging es mir zumindest oft. Tagsüber habe ich mich von Zielen und Herausforderungen abgelenkt; im schlimmsten Fall sogar von Unzufriedenheit. Und nachts lag ich dann wieder im Bett und dachte über einen weiteren sinnlosen bis vergeudeten Tag nach.

Also, Nein, Ablenkung ist keine Problemlösung – und Langeweile ist nicht das Problem. Genau das ist die Krux bei der Sache. Es muss tiefer gehen, also nochmal: Warum langweilst du dich?

Die Kraft der bewussten Langeweile

Langeweile ist etwas Gutes. Doch, doch, das meine ich wirklich so – denn Langeweile ist eines meiner wichtigsten Werkzeuge. Eben sagte ich schon, dass unsere typische Antwort auf Langeweile Ablenkung ist. Ablenkung ist aber nicht förderlich. Langeweile ist dahingehend eine der am häufigsten missverstandenen Empfindungen des Menschen, weil sie ein enormes Potential birgt. Sie entsteht, wenn ich keine Ziele habe oder mir diese im Moment nicht klar sind. Langeweile ist der Ruf der Seele nach Erfüllung.

Eine weitere Herausforderung ist, diesen Ruf überhaupt wahrzunehmen. Wir leben in einer Welt, in der alles darauf ausgerichtet ist, unsere Aufmerksamkeit zu bekommen. In den Augen so ziemlich jeder Firma ist Aufmerksamkeit eine der wichtigsten Ressourcen, die ich habe. Alle buhlen darum, dass ihnen mein Fokus gehört, damit ich schlussendlich ihrer Agenda folge. Viele Menschen sind in ihrem Alltag so fremdgesteuert, dass sie ihre Langeweile gar nicht wahrnehmen. Unsere Gehirne sind so auf die Dopaminexplosionen von social media und Spielen, unser Handeln oft so auf die eben notwendigen Dinge des Alltags fixiert, dass wir uns selbst nicht finden oder wieder verlieren. Wir müssen dringend selbst gegensteuern, wenn wir in irgendeiner Weise frei bleiben wollen. Ein Werkzeug dieses Gegensteuerns ist Langeweile.

Langeweile ist eine Art Kampf-Meditation. Ihr Ziel ist nicht, für einen Moment Frieden zu finden, indem alles Störende bewusst weggeschoben wird; es ist genau gegenteilig: Das Ziel der Langeweile ist, für jeden Moment Frieden zu finden, weil alles Störende bewusst wahrgenommen wird. Diese Anstrengung betrifft nicht den Körper, sondern Geist und Seele. Sie fordert Entscheidung um Entscheidung, greift scheinbar unaufhörlich an und fordert dazu auf, nicht nachzugeben, sondern standhaft zu bleiben.

Diese Herausforderung anzunehmen, verändert die Wahrnehmung. Langeweile ist kein Feind, sondern ein Freund, der eine liebevolle Umarmung verdient. Richtige Langeweile ist nicht langweilig, sondern intensiv, aufregend, spannend und tief. Der Langeweile ins Abenteuer zu folgen, ist eine der großartigsten Möglichkeiten, die eigene Zeit wertzuschätzen. Hinter dem Nebel der Ablenkung liegen Täler und Berge der Selbsterkenntnis; auf weiten Ebenen ist Raum für kreative Gedanken aller Art, im dichten Wald und in tiefen Höhlen warten sind Feinde zu besiegen, der Ausblick von den Gipfeln lädt zum Träumen ein und nach einer gewissen Zeit auf diesem Abenteuer schließen sich Dankbarkeit und Motivation als Gefährten der Reise an.

„Auf dem Gipfel der Langeweile erfährt man den Sinn des Nichts, insofern ist dieses auch kein deprimierender Zustand, da es […] die Möglichkeit darstellt, das Absolute zu erfahren, so etwa wie den letzten Augenblick.“

Émile Michel Cioran

Wie ich mich richtig langweile

Eine meiner liebsten Routinen ist es, allein Essen zu gehen. Die wichtigste Vorbereitung für das Abenteuer: kein Smartphone! Ich nehme nur einen DinA5-Block, einen Stift und mein Geld. Ich esse bewusst langsam. Vor, während und nach dem Essen halte ich signifikante Gedanken (Emotionen, Erinnerungen, Ideen, etc.) fest. Alle Gedanken, die diese Aktivität beenden wollen (bspw. nach Hause gehen und zocken), schreibe ich auf das dritte oder vierte Blatt des Blocks, damit die Gedanken sein durften, aber dann nicht weiter ablenken. Ziel des Abenteuers ist, meine Handlungen der nächsten Tage oder Wochen und Monate klar zu haben und mit Freude auf sie zu schauen. Wenn ich einen dankbaren Zustand erreicht habe, in dem mir langweilig wird, weil sich meine gewonnene Klarheit in Motivation äußert, die sofort loslegen will, verweile ich noch so lange wie möglich – einfach, weil ich kann. Ich bestimme, was ich tue und nicht meine Emotionen. Das ist gutes Training. Dann gehe ich mit Frieden und Freude nach Hause.

Vielleicht sieht das bei dir anders aus. Vielleicht gehst du in den Wald. Aber egal was du tust, ein wichtiger Faktor beim richtigen Langweilen ist in jedem Fall, nicht einfach nur nach der Lust zu gehen. Wenn Lust sagt, was du tust, war es keine Langeweile, sondern Ablenkung.

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